Freitag, 6. März | 14:55

Neue Kleider für den Raum


Neue Technologien haben eines der ältesten Materialien, das sich an Bauwerken findet, im Laufe der letzten Jahre wieder in Pole-Position gebracht: die keramische Fliese.

In den Mustersammlungen der Architekten bekommen keramische Platten plötzlich wieder mehr Raum und nehmen an Farbreichtum sowie an Form- und Gestaltungsvielfalt zu. Einhergehend mit neuen Interpretationen von Gottfried Sempers Bekleidungstheorie scheint auch die Schärfe aus der von Adolf Loos im krassen Gegensatz dazu inszenierten Hypothese zu entweichen, die Ornament mit Verbrechen gleichsetzt und die pure Materialästhetik als unbedingte Basis einer modernen Haltung fordert. Bis vor kurzem gönnte man sich bei der Auswahl an keramischen Oberflächen tatsächlich kaum mehr als schwarze, anthrazitfarbene, graue und weiße Töne – gleichsam als Substitut für das noch immer über allem schwebende Materialpurismus-Paradigma der Moderne. Doch beginnt man heute wieder stärker in anderen atmosphärischen Qualitäten zu denken, die ein breites Spektrum an Farben, Strukturen und unterschiedlichen haptischen Oberflächen zulassen oder gar erfordern.

Viel unbeschwerter wird mit keramischen Oberflächen wieder experimentiert, wobei aus immer breiter werdenden Angeboten der Industrie und einschlägiger Manufakturen geschöpft werden kann. Der enge Anwendungsbereich der keramischen Platte, die lange Zeit nur mit Küche, Bad und stark beanspruchten Orten in Verbindung gebracht wurde, bricht auf und erfasst alle Lebensbereiche, sei es an Möbeln oder Wänden, Böden oder Decken in Wohnräumen. Man könnte sagen, die Fliese ist als Kleid für Räume wieder salonfähig geworden – im wahrsten Sinne des Wortes.
E.B. | S.L.

Erich Bernard, geb. 1965 in Graz. Architekturstudium an der TU Graz und der Hochschule für angewandte Kunst Wien (Meisterklasse Prof. Wilhelm Holzbauer). Geschäftsführer von BWM Architekten, Partner von bwmretail. Umfassende Tätigkeit als Autor und Gastprofessor.

Silvia Lederer, geb. 1956 in Schwandorf, Deutschland. Studium der Architektur in Coburg, Deutschland. Mitglied der Bayerischen Architektenkammer. Seit 1983 Architekturbetreuung bei Agrob Buchtal, Schwerpunktbereiche Wien, Niederösterreich und Burgenland.